Blitzeis am Tejo

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Es ist Sonntag, 13:00 Uhr. Der Himmel ist grau über der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Mir ist kalt, es ist windig und gerade peitscht mal wieder ein Regenschauer über den Platz am Flussufer. Ich kauere auf einer Parkbank unter einer gelben Plastikplane mit dem roten Aufdruck des Kaffeeherstellers „Delta“, der mir gerade herzlich egal ist. Ich versuche mich so gut es geht vor Regen und Wind zu schützen. Eine Art Stadionsprecher schreit seit Minuten wie am Spies: „Obrigado, Obrigado, multi Obrigado! Um den Hals baumelt mir eine viereckige Blechmedaille, und immer wenn der Regenguss kurz nachlässt, beiße ich in ein Erdbeereis am Stiel. Tatsächlich: Ich beiße in ein Eis am Stiel! Vielleicht kommt auch gleich noch ein rosafarbener Elefant vorbei und fragt mich, wie spät es gerade in Singapur ist. Wie in aller Welt bin ich hierher gekommen?

Rückblende. Es ist der Samstag, acht Tage zuvor. Ich sitze in einem  tschechischen Flieger nach Faro an der portugiesischen Algarve-Küste. Ich habe mich seit Wochen auf das Trainingslager des Potsdamer Laufclubs gefreut und auf den Halbmarathon in Lissabon. Ein bisschen Frühling, ein bisschen Sport, ein bisschen die Seele baumeln lassen – kein schlechter Plan, wie ich finde. Allerdings hat mich kurz vor Abflug DER grippale Infekt erwischt. Fieber, Husten, Gliederschmerzen – die Bronchien brennen. (Erkenntnis 2018/1) „Irgendwie klebt Dir die Seuche am Schuh“, attestiert mir ein erfahrener PLC-Läufer. „Irgendwie wird’s schon gehen“, denke ich. Seeluft ist ja bekanntlich die beste Medizin. Und mit einer satten Überdosis Ibuprofen im Blut schaukele ich über den Wolken nach Faro. Irgendwie ging es dann aber nicht. Im Hotel angekommen hat mir der Infekt am ersten Abend regelrecht den Stecker gezogen. Zwangspause durch pharmakologischen K.O. vor der ersten Runde – so muss man es wohl sagen.

Ich muss zugeben, das Wetter hat es mir in den ersten zwei, drei Tagen auch leicht gemacht, denn wenn ich mich recht erinnere, haben sich die Palmen hinter dem Hotel mehrmals ordentlich im Sturm verbogen, und über zu wenig Regen dürften sich die Portugiesen in diesem Frühjahr auch nicht beklagen können. Trotzdem hätte ich natürlich lieber das Training mitgemacht als diesen grässlichen Ingwer-Tee in mich hineinzuschütten. Und bei lauen 18 Grad kam zumindest einmal am Tag immer irgendwo die Sonne raus.

Nachdem das Fieber weg war habe ich dann Mittwoch den ersten kleinen Trainingslauf auf einer schönen Cross-Strecke direkt neben dem Hotel absolviert. Es fühlte sich ehrlich gesagt nicht so an, als würde ich am Sonntag einen Halbmarathon laufen wollen. Aber gut…noch war ja eine halbe Woche Zeit. Donnerstag ein Lauf am Strand, das ging schon besser und Freitag dann mit dem Auto nach Lissabon – im  Dauerregen.

Dort – so hatte ich mir ausgerechnet – konnte mir eigentlich nicht mehr viel passieren, denn ich war schliesslich in der Obhut von gleich vier Beamtinnen der Bundespolizei – zum Glück unbewaffnet und so sehr in Zivil, dass sogar die lokalen Straßendealer in Lissabon unseren Beamtinnen sorglos allerlei Drogen zum Kauf angeboten haben. Vielleicht – meine Herren – ist das nur eine begrenzt gute Idee. Falls ihr Eure Geschäfte mal auf deutschen Flughäfen oder Bahnhöfe ausweiten wollt, hier mein Tipp: Probiert es in dieser Zielgruppe lieber mit Sportschuhen, Cappuccino, Kuchen, und Wein – bringt mindestens genau soviel Umsatz und unter Umständen weniger Ärger.

Am Samstag dann die nächste Hiobsbotschaft: Der Start des Laufs wurde kurzfristig verlegt, denn die Brücke über den Tejo – der Höhepunkt des Laufs – wurde wegen eines nahenden Sturmtiefs mit Starkböen für den Lauf gesperrt. Klar gehen Sicherheitsvorschriften immer vor, aber eine Enttäuschung war das schon. Nach einem windigen Samstag in Lissabon, an dem sogar der volle Brotkorb vom Tisch flog, war am Sonntagmorgen das Wetter gar nicht so schlecht. Also auf zum Start irgendwo an einer Stadtautobahneinfahrt – schön geht anders.

Zugegeben, ich habe ich mich weit hinten in die Startaufstellung gestellt. Die Zeit war mir ja eh egal, denn mit der abklingenden Grippe hatte ich mir vorgenommen das Ganze als Sightseeing Tour zu laufen (Total time: 2h:18min). Was aber dann stattfand, war der wohl seltsamste „Lauf“, den ich bisher erlebt habe. Irgendwann ging es auf der Autobahn wohl über eine Startlinie, aber kaum jemand schien das zu interessieren. Laufen – Fehlanzeige. Stattdessen befand ich mich bei einem Art Volkswandertag.

Omas mit Sturmhauben aus Plastik und dem Fifi an der Leine, Familien mit Kleinkindern, untergehakte Vereinsausflügler in Wanderausrüstung, die fahnenschwenkend die gesamte Breite der Strecke blockierten; irgendwann habe ich einen aufgespannten Regenschirm ins Gesicht bekommen  – klar, nicht dass am Ende noch jemand nass wird. Hätte man nach drei Kilometern bei einer Rast noch Brot und Wurst gevespert oder einen Grill aus dem Rollkoffer gezogen, mich hätte es nicht gewundert. Nach fünf Kilometern nahmen die Wandersleut dann aber doch die nächste Autobahnausfahrt und es wurde noch ein richtiger Lauf. Mein Sightseeing-Plan ist allerdings nicht aufgegangen. Denn zu sehen gab es nicht wirklich viel. Die Strecke des Lissabon-Halbmarathons ist – von der Brücke, über die man nicht Laufen durfte, abgesehen – wenig reizvoll. Dabei ist Lissabon eigentlich eine wunderschöne Stadt, aber 90 Prozent der Stadt ist Berg und Tal, deshalb geht der Halbmarathon in einer kilometerlangen Geraden am Flussufer entlang von Bahnschienen, durch Hafen- und Industriegebiete.

Interessante Fachgeschäfte in Lissabon: Für alle, die des Portugiesischen nicht mächtig sind: „Espingardas“ sind Gewehre, „Cargas“ ist Sprengstoff und „Esgrima“ Fechtausrüstung. 

Nicht nachvollziehbar ist für mich auch, dass der Veranstalter keine Möglichkeit anbietet, irgendwo eine Tasche mit trockenen Klamotten oder sonst was abzugeben, zumal es echt schwierig ist, vom Ziel mit Bus und Bahnen irgendwie schnell wieder wegzukommen. Unterm Strich war es aber durchaus eine neue Erfahrung, mit, dann gegen und dann wieder mit dem starken Wind zu Laufen. Das Wetter war – wie man im Fernsehen wohl sagen würde – ein Mix aus Sonne, Wolken, Regen und vereinzelten Graupelschauern. Und am Ende gab es dann vom Veranstalter sogar noch ein Blitzeis.

————–  OneMoreTune 2018/2: The Verve/Lucky Man ————

Was gibt es zu diesem Song noch zu sagen? Außer vielleicht, dass er gerade ziemlich gut mein Lebensgefühl beschreibt? Und dass ich dort sofort einziehen würde. Das Gebäude steht übrigens am Nordufer der Themse im Londoner Stadtteil Hammersmith und ich finde es absolut ausreichend möbliert. Vielleicht könnte man noch sagen, dass „The Verve“ eine der genialsten Gruppen der Britpop Ära der 90er waren, dass der Sänger Richard Ashcroft aus seiner Abschlussprüfung an der Schule einfach raus gegangen ist, um spazieren zu gehen, was ihm dann einen Termin beim Schulpsychologen eingebracht hat; dass der Gitarrist ein Album der Band nur schwer einspielen konnte, weil er sich während eines Konzerts der Band bei einer Schlägerei die Hand gebrochen hatte. Dass The Verve kurz vor ihrer Trennung 1998 ein legen(…gleich kommmt’s….) däres Konzert ihrer Heimatstadt Wigan in der Nähe von Manchester gaben, bei dem die letzten Worte von Ashcroft nach getaner Arbeit an das Publikum lauteten: „Fuck you!“, bevor er die Bühne verlassen hat….ein waschechter Engländer halt.

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