Wie auf einer Perlenschnur reiht das Leben Erfahrung an Erfahrung. Am Wochenende habe ich die Perle mit dem Wörtchen „Scheißhitze“ aufgefädelt: Es ist Sonntagmorgen, kurz vor neun Uhr. Die Sonne sticht schon unangenehm aus einem wolkenlosem Himmel. Doch das ist erst die Ouvertüre für die schwüle Hitze, die eine Stunde später das Atmen immer schwerer macht. Ich stehe am Start des Potsdamer Schlösserlaufs – habe mich am morgen noch zum Halbmarathon nachgemeldet – ich konnte es nicht lassen – obwohl ich nicht wirklich fit bin und es seit Tagen drückend heiß ist. Der Anfang geht noch. Locker angehen lassen, auf der langen Geraden ins Stadtzentrum gibt’s ja sogar ein bisschen Schatten. Die Pulsuhr zeigt 5:40, alles im Plan.
Aber schon nach sechs Kilometern schaltet mein Körper – ohne mich zu fragen – in den Hitzemodus. Der Puls haut nach oben ab, die Augen fangen an zu tränen, das Hemd klitschnass. Ich weiß, der größte Teil der Strecke geht ab jetzt durch die pralle Sonne und mir wird endgültig klar, dass dies kein schöner Lauf wird. Er brennt im Hals wie Chilli und hämmert im Kopf wie Death-Metall. Drei Worte kreisen in meinem Kopf wie Weissrückengeier über einem verendenden Rind in der Serengeti: „Scheißhitze, Scheißhitze, Schießhitze“.
Bis Kilometer 12 denke ich noch, dass ich es unter zwei Stunden packen kann. Ab dann geht’s bergab mit mir. Die Signalhörner der Ambulanzen werden häufiger, ich passiere innerhalb kurzer Zeit drei Läufer, die von Sanitätern versorgt werden. Spaß ist was anderes. Irgendwo zwischen Kilometer 14 und 15 ergebe ich mich einfach dem Gartenschlauch eines Anwohners…zum Teufel mit Zeiten und Zielen – schließlich ist das Freizeitsport und kein armenischer Todesmarsch. Nach einer ausgiebigen kalten Gartenschlauch-Dusche und fünf Minuten Gehen mache ich mich in angemessenen Lauftempo auf den Weg Richtung Ziel, das ich in akzeptablem Zustand, dafür aber in absolut unakzeptablen 2h:14m erreiche. Scheiß drauf – schließlich will ich ja noch was vom Sonntag haben.
Ein großer Dank jedenfalls an die vielen Potsdamer Anwohner, die in der zweiten Streckenhälfte mit Gartenschläuchen und Rasensprenklern alles gegeben haben, um für Kühlung zu sorgen! Kleiner Einschub für alle, die im Sanitätswagen die Ziellinie überquert haben:
Warum ist Sport bei Hitze anstrengender?
Wegen veränderter Blutverteilung. Bei hohen Außentemperaturen verlagert der Körper einen großen Teil seines Blutvolumens in die Haut und sorgt so für mehr Schwitzen. Dabei kühlt nicht nur die Haut, sondern auch das Blut selbst ab. Der Körper muss seine Kerntemperatur so um 37 Grad Celsius konstant halten – gelingt das nicht mehr, schickt er sich (dich) kurzfristig in die Horizontale – ein Selbstschutz des Systems. Hitze verringert aber auch die Leistungsfähigkeit insgesamt: Durch die Verlagerung des Blutes in die Peripherie steht den Muskeln insgesamt weniger Blut zur Verfügung und gleichzeitig nimmt der zentrale Venendruck ab. Folge: Das Herz muss schneller pumpen, um genügend Blut in lebenswichtige Organe zu bringen. Die gleiche Leistung wie sonst ist nur mit einer höheren Pulsfrequenz zu erreichen.
Für mich war’s im Rückblick kein schöner, aber dafür ein wichtiger Lauf. Erkenntnis 2016/Nummer 13: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Diese Binsenweisheit, mit der Männerbünde mitunter exzessiven Alkoholmissbrauch begründen, verdanken wir eigentlich dem deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche. Ich interpretiere das für mich so: Klar habe ich meine Zielzeit verfehlt. Ja und? Man läuft in Raum und Zeit, muss seine Ziele diesen anpassen. Erfahrung heißt auch mit schlechten Rahmenbedingungen gut umzugehen, statt hinterher halbtot überm Zaun zu hängen. Das Leben ist zu kurz, um es nicht jeden Tag zu genießen!
Dazu passen noch ein paar Zeilen von Thoreau, die mich an das schöne Ende des Sonntags erinnern:
Während ich mich an einem schwülen Tag
auf den trägen Wassern des Sees treiben lasse,
höre ich fast auf zu leben und fange an zu sein.
Henry David Thoreau
Mein tatsächliches Finish war nämlich am Havelufer. Im Sonnenuntergang schwimmen gehen, Hühnchen vom Pappteller und Reis mit der Hand essen, zurücklehnen, aufs Wasser schauen, ein kaltes Flens, Füße hochlegen und ein leises Ahhhhh…. tönen.
One More Tune/13: Rammstein/Engel:
Passt irgendwie zum dem Lauf. Rammstein im Madison Square Garden, New York, 2010. Die mehr als 14.000 Karten waren innerhalb von 20 Minuten ausverkauft. Weiterer Kommentar überflüssig. Wer wissen will warum: Hier klicken.
Der hier steht ganz nahe der Laufstrecke im Babelsberger Park.
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