Batman wohnt in Chicago. Davon bin ich inzwischen fest überzeugt. Irgendwo hier in den Häuserschluchten residiert er unaufällig, als zuvorkommender Milliardär Bruce Wayne und wenn es Nacht wird, geht er auf Verbrecherjagd… in „Gotham City“. Zu tun hätte er genug, denn die Sirenen der Streifenwagen heulen hier oft und von Januar bis Anfang Oktober gab es bereits 551 Morde in der Stadt. „2016 Death Toll“, nennt man das hier, und jeder Tote wird im Internet fein säuberlich verzeichnet: Name, Age, Race, Cause: Shooting…so geht das hier.
Aber von der eskalierenden Gewalt, vor allem der der Schwarzen Gangs untereinander, kriege ich nichts mit…im Gegenteil…während es zu Hause regnet, frühstücke ich bei 25 Grad im Straßencafé und alle sind nett….jedenfalls solange das Trinkgeld stimmt. Vielleicht sehe ich mir das Elend der Obdachlosen auch nicht genau genug an, weil ich ganz einfach dauernd nach oben schaue…geht nicht anders.
Selbst auf die Aschenbahn…begleitet mich der faszienierende Wald aus Wolkenkratzern. Als der liebe Gott die Welt erschaffen hat, sind ihm in Chicago anscheinend eine ordentlich Ladung Bauklötze aus der Tasche gefallen und seither machen sie sich hier einen Spaß daraus die kreuz und quer übereinander zu stapeln. Staunend stehe vor der Marina City, zwei runden wabenartigen Türmen, in deren unteren 15 Stockwerken Autos parken, und darüber schrauben sich Appartements wie Schwalbennester in die Höhe…so wird es wohl sein das 22. Jahrhundert….als ich erfahre, dass diese Türme zwischen 1959 und 1967 entstanden sind, kommt mir Deutschland auf einen Schlag wahnsinnig bieder und konservativ vor…jedenfalls was seine Architektur anbelangt.
Das Art Instute of Chicago, die Lakefront, Chinatown, die Blues-Clubs oder einfach nur einen Becher Kaffee in die Hand und mit dem Wassertaxi Hochhäuser anschauen…ich könnte hier locker einige Wochen zubringen, auch ohne Marathon….ach richtig…der Marathon! Aber hier noch schnell ein bisschen Andy Warhol….
In weniger als 24 Stunden geht es los und das Marathonwochenende ist selbst in diesem Ballungsraum mit knapp 10 Millionen Einwohnern nicht zu übersehen…alle kennen irgend jemand, der jemand kennt, der jemand kennt…selbst der Typ, der uns heute Morgen im Sunny Side Up Café (sehr empfehlenswerter Laden im historischen Harry-Potter-Häuschen, (Superior/Rush Street) hat schon viermal versucht einen Startplatz zu bekommen…ohne Erfolg. Das macht dann doch ein bisschen demütig, zumal einem wirklich jeder viel Erfolg wünscht. Witzig ist auch, dass die Nationalitäten hier ganz anders verteilt sind als beispielsweise in Berlin. Es sind mehr Läufer aus Guatemala dabei als aus Deutschland und erst recht weniger als die 1738 Läuferinnen und Läufer aus Mexiko. 21.000 Runners kommen aus Chicago und Illinois. Und für einige der 1792 Texaner könnte es knapp werden, weil aufgrund eines Hurricanes ziemlich viele Flüge aus dem Süden der USA gestrichen wurden.
Gut, dass mein Coach und ich schon ein paar Tage eher geflogen sind…oft wird meine Tochter Hannah wohl ohnehin nicht mehr mit mir verreisen…oder wie hat der alte schwarze Mann auf der Straße gesagt… „Aaa..what’s goin‘ on..aaaaand the young lady…she’s your daughta‘ or your girl?“ Ich habe ihn gefragt, was er wohl schätzt…“If she’s your girl, you’re a damn‘ lucky man.“ Den Dollar hat er sich doch echt verdient….ansonsten wär’s auch Abzocke gewesen, denn die Zeitung, die er uns dafür in die Hand gedrückt hat war ein Werbeprospekt.
Also jedenfalls war ich gestern bei der Startnummernausgabe im McCormick-Expogelände. Die Marathon-Messe ist so wie alle anderen auch…nur die Lage des Geländes am Ufer des Lake Michigan ist echt spektakulär. Ansonsten ist alles bestens organisert, bis auf den Shuttle-Verkehr…zwar durfte man sich die Bandscheiben in echten gelben amerikanischen Schulbussen ruinieren, aber der Verkehr war eine Katastrophe…auf der Hinfahrt ging irgendwann eine halbe Stunde lang gar nichts mehr…Blaulicht, Cops, Straßensperre…. „President Obama is in town“, …und da wird vorsichtshalber erst mal die Hochstraße gesperrt unter der wir standen …die Amis halt…immerhin ist mir der Obama praktisch übern Kopf gefahren.
Gerüchteweise war der President aber weder wegen des Marathons noch wegen politischen Dingen in Chicago. Er kommt ja von hier und wollte sich ein Baseballspiel der „Cubs“ ansehen. Das ist sowas wie im Fußball St. Pauli in Deutschland…und irgendwie scheinen die Cubs dieses Jahr besser zu spielen als sonst. „Die Cubs haben seit über 100 Jahren keinen Titel mehr gewonnen, deshalb lieben wir sie“, erzählt mir ein Mann, der mir auf der Messe ein Abo der Chicago Tribune andrehen will…sogar das 20 Meter hohe Dinosaurier-Skelett vor dem Naturkundemuseum in Chicago hatte ein überdimensionales Cubs-Trikot an…in Amerika muss es halt alles immer eine Nummer größer sein…also wenn’s hilft feuern wir sie mit an…“Go Cubbies….!“ Jetzt noch ein bisschen relaxen…und dann geht es los…..Für morgen sind Sonne und Temperaturen zwischen 14 und 20 Grad angesagt…und obwohl Batman doch bestimmt dafür sorgen wird, dass alles ruhig bleibt in Gotham City…bin ich langsam doch ziemlich aufgeregt…deshalb gibt es heute auch keinen schlauen Erkenntnisspruch, sondern ein schönes Lied, das – warum weiß ich nicht – irgendwie zu Chicago passt:
One More Tone 2016/18: Bryan Adams/ I’m Ready
Schreibe einen Kommentar